Warum möchte ich mein Studium mit einer staatlichen Prüfung abschließen?

Ich studiere nun seit drei Jahren Jura und bin letzte Woche mit dieser Frage aufgewacht. 

Ich begann mein Studium im Herbst 2018 mit dem Wunsch, unser deutsches Rechtssystem zu verstehen und mir Fähigkeiten für ein Wirken in der Welt zu erwerben. Schnell fand ich mich in das juristische Denken hinein und nach den ersten erfolgreichen Prüfungen war mir klar, dass ich weiter studieren würde und zumindest das erste Staatsexamen mache. Nun, nach drei Jahren Studium, begann für mich die Zeit der Examensvorbereitung und plötzlich war alles nur noch auf diese große Prüfung ausgerichtet. 

Wofür und warum möchte ich mein Staatsexamen machen? Geht es nicht auch ohne? Welchen Wert hat dieser Abschluss für mich persönlich? Diese Fragen drängten sich an jenem Morgen in mein Bewusstsein und ließen mich nicht mehr los. 

Den ganzen Tag über rang ich darum, die Frage mit einer radikalen Offenheit wirklich zuzulassen und mir die konkreten Konsequenzen vor die Seele zu stellen, ohne vorschnelles Urteilen. Dieser Prozess kostete mich viel Kraft. Durch den Tag ging ich wie in Watte eingepackt, alles schien verlangsamt und ich selbst wie aus der vorwärts hastenden Welt gefallen. Die ganzen drei Jahre hatte mich die vage Annahme begleitet, dass mir dieses Examen dabei helfen würde, im Sinne einer zukunftsfähigen Gesellschaft im Sozialen zu wirken. Endlich schaffte ich es diese nicht weiter hinterfragte Vorstellung ganz loszulassen und der zur Entscheidung drängenden Frage einen bedingungslosen Freiraum zu geben. Mich wirklich der Frage stellen – war der eigentliche Entscheidungsprozess! 

Mir stand klar vor Augen, dass ich durch das Examen keine neuen, mir wertvollen Fähigkeiten gewinnen werde. Ich würde lediglich eine staatlich garantierte Bescheinigung in Händen halten, die allein darüber Auskunft gäbe, dass ich mir bis zu einem bestimmten Tag X einen großen Umfang von Wissen derartig einverleibt hätte, dass ich diesen in einer Stresssituation wiedergeben und innerhalb der juristischen Technik anwenden könnte. Ich würde also die nächsten eineinhalb Jahre darauf verwenden, mein erreichtes Wissen zu perpetuieren und es mir durch den Staat für die Zukunft gegenüber der Gesellschaft abzusichern. Sicherlich würde mir dieser Schein eine bestimmte gesellschaftliche Anerkennung und Stellung ermöglichen; über meine tatsächlichen Fähigkeiten würde er allerdings keine Auskunft geben. Er würde mir höchstens nach außen hin auf meinem Weg helfen – zur Ausbildung innerer Fähigkeiten, die letztendlich tragenden und zukunftsbildenden, kann der Schein dagegen nicht beitragen. Ich kam so zu dem Schluss, dass es sich nicht lohnt, eineinhalb Jahre für eine derartige „Scheinbildung“ zu opfern. Dies wäre eine regelrechte Fehlinvestition. Am folgenden Morgen erwachte ich voll freudig-sprühender Energie: Mein Entschluss stand fest. Ich würde das Jura-Studium bereits jetzt, ohne einen staatlichen Abschluss beenden. Vor mir tat sich ein wunderbar freier Raum der Möglichkeiten auf. Die nächsten Jahre werde ich nun darauf verwenden mich zu bilden, ohne die festgelegten Bahnen einer staatlichen Institution. Ich werde zu den Menschen gehen, von denen ich etwas lernen möchte und die Bücher studieren, die mich in meinen Fragen an die Welt weiterbringen. Konkret heißt das für mich nun endlich richtig gründlich Anthroposophie zu studieren

Paula Kiefer
Author: Paula Kiefer